Stuttgart. Der Landtag hat sich am Mittwoch in erster Lesung mit der Umsetzung der EU-Richtlinie befasst, die verlangt, bestehende Berufsreglementierungen auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen. „Die Ausübung vieler Berufe setzt aber eine bestimmte Qualifikation voraus“, so Marion Gentges (CDU), „zum Beispiel im Handwerk, in den Gesundheitsberufen, für Anwälte oder Architekten.“ Die Entscheidung, ob und wie der Zugang zu den Berufen und deren Ausübung geregelt werde, obliege den Nationalstaaten. Deren Entscheidungen müssten aber verhältnismäßig sein.
„Die Berufsausübung ist ein Grundrecht“, erläuterte Daniel Lede Abal (Grüne), „auch wenn sie bei den Grundrechten gern vergessen wird.“ Eingeschränkt dürfe dieser Grund nicht, „wenn das dem Schutz der Allgemeinheit dient, weil technische, medizinische und rechtliche Voraussetzungen eingehalten werden müssen und weil sichergestellt werden muss, dass die berufsausübenden Personen über entsprechende Kenntnisse verfügen.“
Mit dem Gesetz wird die Pflicht eingeführt, vor Erlass neuer und Änderung bestehender Berufsreglementierungen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung in dem durch die EU vorgegebenen inhaltlichen Rahmen durchzuführen. „Wir bekennen uns ganz ausdrücklich zum EU-Binnenmarkt und der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit“, sagte der Grüne, von dem gerade Baden-Württemberg „massiv“ profitiere. Dazu gehöre aber eben auch die Angleichung bei berufsrechtlichen Vorschriften. Gentges erinnerte daran, dass damit auch Wahrung „bewährter Strukturen im Handwerk“, wie die Pflichtmitgliedschaft in einer Kammer, die Qualität von Handwerksarbeit oder die Ausbildung durch Meister, verbunden sei. Auch deshalb verdiene der Gesetzentwurf die Zustimmung.
Sabine Wölfle (SPD) erklärte, dass es rund 400 Berufe mit klaren Regeln gibt, welche Kenntnisse und Qualifikationen die Personen mitbrächten, die diese Berufe ausüben. Und um die Freizügigkeit nicht weiter zu behindern, hätten das Europäische Parlament und der Rat aber bereits im Jahr 2005 beschlossen, dass „in den Mitgliedstaaten die Verhältnismäßigkeit der eigenen Anforderungen, die den Zugang zu den reglementierten Berufen oder halt deren Ausübung beschränken, zu prüfen ist“. Ergebnisse dieser Prüfung seien dann der Kommission vorzulegen. Und da zeige sich, verschiedene Stellen, „die in den Mitgliedstaaten mit der Anerkennung der im jeweiligen Ausland erworbenen Qualifikation beauftragt sind, hängen die Latte ziemlich hoch, man könnte auch sagen, unverhältnismäßig hoch“. Das verstoße gegen Grundsätze des Unionsrechts. Baden-Württemberg wolle mit dem Gesetz Klarheit schaffen, „natürlich stimmen wird dem zu“.
Auch die Liberalen werden zustimmen, weil es sich um eine Eins-zu-Eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben handle. „Es geht darum, dass nicht nur ein Augenmerk darauf zu richten ist, ob die neue Regelung verhältnismäßig ist, sondern ob das Maß der Verhältnismäßigkeit auch in Kombination mit dem bereits bestehenden Recht gewahrt wird“, so Jochen Haußmann. Hinzu komme die Einführung eines Monitorings, um die Verhältnismäßigkeit immer wieder zu überprüfen.
Für die AfD kritisierte Emil Sänze dagegen die Richtlinie als „52 Seiten überflüssiger EU-Sprech, 52 Seiten Bürokratie, 52 Seiten, die das Leben unserer Bürger in nichts besser, dafür aber schwerer machen, 52 Seiten exemplarisches Versagen des sinnlosen, überflüssigen Konstrukts, das Sie mit den Ursünden des Maastricht-Vertrages und des Lissabon-Vertrages über Europa gebracht haben“. Die Begründung der Landesregierung zu diesem Papier sei ein Offenbarungseid: „Keine einzige Aussage darüber, dass für uns im Land die entsprechenden Berufe besser, leistungsfähiger, wirklichkeitsnah werden, stattdessen nur, dass wir das machen müssen, weil uns die EU dazu zwingt, und weil uns die EU dazu zwingt, schalten wir unser eigenes Gehirn ab“.
Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) brachte diese Einschätzung regelrecht in Rage. Er sprach von „der ewiggestrigen Aus- und Abgrenzungs- und wirklich liederlichen Verleugnungsszenerie, die von der AfD kommt“. Das aber habe mit der Realität nicht zu tun, denn die Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb der EU „ist die tragende Säule der europäischen Integration und die Grundlage unseres jetzigen Wohlstands“. Und das Land habe sich zu einer Umsetzung entschlossen, „die europarechtlich konform und zugleich unbürokratisch ist“.