Kampf um die Freiheit der Wissenschaft in der Türkei

11.05.2017 
Redaktion
 

Stuttgart. Der Austausch von Studierenden, Wissenschaftlern und Künstlern aus Baden-Württemberg und der Türkei ist nach Ansicht von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) durch die jüngsten politischen Entwicklungen schwer belastet. In einer Landtagsdebatte über die Folgen der Politik von Staatspräsident Erdogan erinnerte sie am Donnerstag daran, dass inzwischen 15 Universitäten geschlossen und 9000 Beschäftigte entlassen sind. „Und gerade deshalb wollen wir unsere Kontakte verstärkten, statt mit Rückzug zu reagieren“, so die Ministerin weiter.

Nach Angaben ihres Hauses bestehen bundesweit 1307 Kooperationen mit Hochschulen in der Türkei, davon entfallen 218 auf solche mit Baden-Württemberg. Sie wiederum werden in Lehre und Forschung insbesondere durch das Erasmus-Plus-Programm der Europäischen Kommission, aber auch durch das Stipendium der Baden-Württemberg Stiftung gefördert; Einrichtungen aus Baden-Württemberg arbeiten in 21 EU-Forschungsprojekten mit Partnern aus der Türkei zusammen; im Wintersemester 2014/2015 waren 5172 Studierende mit türkischer Staatsangehörigkeit an den Hochschulen in Baden-Württemberg eingeschrieben, fast tausend davon mit einer im Ausland erworbenen Zugangsberechtigung. „Die Zusammenarbeit zwischen Baden-Württemberg und der Türkei in Wissenschaft und Forschung ist bislang vielfältig und intensiv“, erklärte Bauer. Das Land versuche, so viele Kontakt wie möglich aufrechtzuerhalten.

Die FDP-Fraktion hatte diese Datensammlung angestoßen und wollte zudem erfragen, „wie weit die Landesregierung vorbereitet ist auf möglicherweise zu erwartende Zuspitzungen der Entwicklung in der Türkei und die sich daraus ergebenden Konsequenzen etwa für hier lebende Studierende und für Forschende mit türkischer Staatsbürgerschaft“. Die Geschehnisse sind aus Sicht ihres wissenschaftspolitischen Sprechers Nico Weinmann „eine Belastungsprobe für die bilateralen Beziehungen im Wissenschaftsbereich“.

Wie Weinmann verlangten auch Manfred Kern (Grüne), Marion Gentges (CDU) und Nils Schmid (SPD), die Kontakte trotz der Entwicklung nicht zu kappen. „Alle politischen Widrigkeiten zum Trotz müssen wir weiter kooperieren“, so Gentges, „und unsere Hand ausgetreckt lassen, für die Menschen, die ihre Hoffnung ins uns setzen." Schmid erinnerte an die vielen Flüchtlinge vor der Nazi-Diktatur, die in der Türkei Aufnahme gefunden hatten, und warnte davor, die Tür zuzuschlagen - zumal so viele Menschen gegen Erdogans Verfassungsreform gestimmt hätten. Kern hatte das Foto einer jungen Wissenschaftlerin mit in den Plenarsaal gebracht, die mit einem Hungerstreik auf die verzweifelte Lage von Wissenschaftlern und Künstlern hinweise.

Der AfD-Abgeordnete Rainer Balzer nahm die Debatte zum Anlass, die deutsche Anwerbepolitik früherer Jahrzehnte zu kritisieren. Weinmann wiederholte dagegen die Forderung seiner FDP-Fraktion nach einem Einwanderungsgesetz. Und auch er erinnerte die Aufnahmebereitschaft der Türkei während des Nazi-Regimes: „Damals fanden circa tausend verfolgte deutsche Wissenschaftler Zuflucht.“ Offenheit und Hilfe für türkische Wissenschaftler sei „heute nicht nur opportun, sondern eine Bringschuld der Politik im Land“. Baden-Württemberg hat bereits ein Programm zur Aufnahme von Wissenschaftlern aufgelegt, vorerst für ein oder zwei Jahre.


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Titelbild Staatsanzeiger