Landtag streitet erneut über Fahrverbote

08.11.2018 
Von: Wolf Günthner
 
Redaktion
 

Stuttgart. Als „ideologischen Quatsch, der nur dem Kampf gegen den Verbrennungsmotor dient“, hat FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke den von der EU festgesetzten 40 Mikrogramm-Grenzwert beim Stickoxid bezeichnet. In der von den Liberalen beantragten aktuellen Debatte „Grün-Schwarzes Pingpong beim Thema Fahrverbote – der Verkehrsminister führt die CDU vor“ forderte Rülke zudem anstelle der vom 1. Januar 2019 wirksam werdenden Fahrverbote für Dieselfahrzeuge der Euro-4-Norm ein einjähriges Moratorium im Sinne der von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angekündigten Änderung des Immissionsschutzgesetzes.

Mindestens müssten weite Teile der Stuttgarter Innenstadt und der Umweltzone aus der Fahrverbotszone herausgenommen werden, so der FDP-Fraktionsvorsitzende. Nur noch die Messstationen Am Neckartor und Hohenheimer Straße seien problematisch; Rülke griff deshalb den Vorschlag des CDU-Staatssekretärs im Bundesverkehrsministerium, Steffen Bilger, auf, die Standorte der dortigen Messstationen zu prüfen: „Dann braucht man vermutlich überhaupt kein Fahrverbot.“

Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) wies dieses Ansinnen zurück. Ein Moratorium sei „ein Vorschlag zum Nichtstun“. Er sei verpflichtet, für saubere, klimafreundliche Luft zu sorgen. Außerdem müsse er sich an Recht und Gesetz halten, wie den Luftreinhaltplan oder Urteile. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte im Februar die Landesregierung verpflichtet, Fahrverbote zu verhängen. Merkel hatte angekündigt, das Immissionsschutzgesetz zu ändern, damit Fahrverbote in Städten mit bis zu 50 Mikrogramm Stickstoffdioxid vermieden werden könnten. In Stuttgart liegt die Belastung jedoch bei durchschnittlich 70 Mikrogramm.

Hermann äußerte sich zuversichtlich, die Feinstaubwerte am Stuttgarter Neckartor in diesem Jahr „erstmals einzuhalten“. Tatsache sei aber auch, dass in 18 Städten im Südwesten die Stickoxid-Grenzwerte überschritten werden. „Wir haben das Problem der schlechten Luft“, stellte der Minister fest. Deshalb brauche es mehr ÖPNV, besseren Rad- und Fußverkehr sowie weniger Staus. Alles müsse sich an den Menschen und deren Gesundheit orientieren. Er widersprach dem Vorwurf, es gebe zu kurze Übergangsfristen für die Fahrverbote: „Wir reden schon lange über Fahrverbote.“

Grüne: Wir brauchen jetzt saubere Luft, nicht erst 2030 oder 2040

Hermann Katzenstein (Grüne) rechtfertigte die von 2019 an geplanten Fahrverbote. „Wir führen diese ein, weil wir müssen“, sagte er. Diese seien verhältnismäßig und die Gesundheit der Menschen gehe vor. „Wir brauchen jetzt saubere Luft und nicht erst 2030 oder 2040“, stellte er fest. Bei Diesel der Norm Euro4 seien keine Übergangsfristen möglich. Grün-Schwarz handele mit Augenmaß und nicht „aus Jux und Tollerei“. Für eine Änderung der Grenzwerte sieht Katzenstein keinen Grund; diese würden auf weltweite Studien und Ergebnissen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beruhen. Der Verkehrsexperte der Grüne wies darauf hin, dass der ÖPNV in Stuttgart durch eine Preissenkung im April 2019 attraktiver werde. Das im Dezember kommende BW-Ticket mache die Preise 20 Prozent billiger: „Das gab es noch nie.“ Daneben sprach er sich für Nachrüstungen von Euro-5-Diesel, bezahlt von den Autoherstellern aus und warf dem Bund vor, nach wie vor die Blaue Plakette zu ignorieren.

Fahrverbote seien nicht verhältnismäßig, urteilte Thomas Dörflinger (CDU). Deshalb kämpfe seine Fraktion darum, dass sie bei Euro-5-Diesel nicht kommen. Allerdings müsse das Urteil des BVerwG akzeptiert, aber die Spielräume für Ausnahmen, wie zum Beispiel Handwerker, Krankenfahrten, Pflegedienste, genutzt werden. Dennoch sei die Luft in Stuttgart „so sauber wie seit Jahrzehnten nicht mehr“; diese werde sich weiter verbessern. Generell wolle die CDU jedoch eine Innovations- statt einer Verbotskultur. Zur Reduzierung des Durchgangsverkehrs sprach sich Dörflinger für den Nord-Ost-Ring sowie die Filder-Auffahrt aus. Es bedürfe „intelligenter Verkehrslenkungen“, weshalb es ihn „fassungslos“ mache, dass Stuttgart eine Fußgängerampel am Landtag bauen wolle, was zu neuen Staus und Belastungen führe.

SPD wirft CDU Doppelstrategie vor

Die Ideologie der Grünen koste die Bürger Millionen, sagte Hans Peter Stauch (AfD). Er bezeichnete die Aufstellung der Messstationen als „sehr fragwürdig“. Sie führe zu bewusster Panikmache und sei die Begründung für die gewünschten Fahrverbote. Als Beispiel für die „verkehrspolitische Konfusion von Grün-Schwarz“ sieht er die in Stuttgart aufgestellten Mooswände, die den Steuerzahler 558 000 Euro gekostet hätten, aber im Kampf gegen den Feinstaub ungeeignet gewesen sind. Hinsichtlich der Fahrverbote warnte Stauch vor einem „Parkplatzsuchverkehr“. Auch die in der Landeshauptstadt eingeführte Schnellbuslinie sei „ideologischer Wahnsinn“.

Martin Rivoir (SPD) warf der CDU eine Doppelstrategie vor. In Anspielung auf das Debatten-Motto „Pingpong“ sagte er, die CDU lasse „jeden Ball der Grünen durch, statt ihn zurückzuspielen“. Sie sei bei der Sprung-Revision gegen die Verwaltungsgerichts-Urteile genauso eingeknickt wie bei den Fahrverboten, gegen die sich der CDU-Parteitag ausgesprochen habe, die Fraktion sich aber nicht gegen die Grünen durchsetzen konnte. Die „wahre Absicht des Verkehrsministers“ sei nicht die Luftverbesserung, sondern die Reduzierung des Autoverkehrs am Stuttgarter Neckartor um 20 Prozent. Rivoir sprach deswegen von einer „Ursünde der Landesregierung“ und appellierte an die CDU, „mit dem Doppelspiel aufzuhören“.


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