Stuttgart. Die Auseinandersetzung zwischen Grünen und CDU beim Thema, das Landtagswahlrecht zu ändern, hat die SPD zum Anlass für eine aktuelle Debatte im Landtag genommen. Vergangene Woche hatte sich die CDU-Fraktion einstimmig gegen eine im Koalitionsvertrag vereinbarte Änderung des Landtagswahlrechts ausgesprochen. Hintergrund der geplanten Wahlrechtsreform, die auch bereits in der vergangenen Legislaturperiode im Koalitionsvertrag von Grün-Rot stand, ist, dass man hofft, dadurch mehr Frauen ins Parlament zu bekommen. Derzeit liegt der Frauenanteil im Landtag von Baden-Württemberg bei 25 Prozent, der niedrigste bundesweit.
CDU und Grüne könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie Probleme miteinander hätten, meint SPD-Fraktionsvorsitzender Andreas Stoch. Er räumte ein, dass eine Wahlrechtsreform nicht einfach sei, auch bei SPD und FDP gebe es dazu differenzierte Ansichten. Auf die angekündigten Gespräche mit allen Fraktionen zum Thema warte man jedoch schon seit Monaten.
Doch seiner Meinung nach ging es bei der Entscheidung der CDU-Faktion gegen eine Wahlrechtsreform in der vergangenen Woche nicht wirklich um das Wahlrecht und die unterschiedlichen Auffassungen von Grünen und CDU dazu, sondern um eine Machtfrage zwischen CDU-Fraktion und dem CDU-Landesparteichef und Innenminister Thomas Strobl. „Die CDU-Fraktion wollte feststellen, wer im Land die Hosen an hat. Sie, Herr Strobl, sind es nicht“, sagte Stoch in Richtung des Innenministers.
Auch warf er den Grünen vor, dass innerhalb ihrer Fraktion längst nicht alle für eine Wahlrechtsänderung seien. Der Nürtinger Abgeordnete und Ministerpräsident Winfried Kretschmann selbst sei ein Gegner einer solchen Reform, so Stoch. Er kam zu dem Schluss, dass die grün-schwarze Landesregierung nicht in der Lage sei, Probleme abzuarbeiten. Sie sei nicht handlungsfähig.
Auch FDP-Fraktionsvorsitzender Hans-Ulrich Rülke schoss sich auf Grün-Schwarz ein. Der Anlass für die Regierungskrise sei nicht etwa die Bildungspolitik, die Finanzpolitik oder die Bürgerrechte, sondern das Wahlrecht. Doch für ihn liegen die Probleme der Koalition tiefer und haben einen Namen: Thomas Strobl. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Reinhart habe deutlich gemacht, wie schwach Strobls Rückhalt in der eigenen Fraktion sei. Und Rülke wandte sich an Strobl und fragte ihn, ob er noch handlungsfähig sei.
Strobl widersprach: Die Kabinettsarbeit ergebe sich nicht aus Zeitungsüberschriften, sondern aus der Leistungsbilanz dieser Regierung. „Und die kann sich sehen lassen“, so Strobl. Man habe in allen für das Land entscheidenden Fragen immer gute Kompromisse gefunden. Er empfahl insbesondere der SPD „etwas mehr Demut“. Denn auch dort seien in der vergangenen Legislaturperiode längst nicht alle Fraktionsmitglieder für eine Wahlrechtsänderung gewesen, die auch bereits unter Grün-Rot im Koalitionsvertrag vorgesehen war. Namentlich nannte er beispielsweise den damaligen Fraktionschef Schmiedel.
Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz kritisierte den von der SPD gewählten Debattentitel „Der grün-schwarze Stuhlkreis - therapieren statt regieren“. Wenn man in bestimmten Sachfragen unterschiedliche Positionen habe, setze man sich zusammen, um diese zu klären. Das sei kein Stuhlkreis sondern eine vernünftige Lösung. Er erinnerte die SPD daran, was trotz Vereinbarung im Koalitionsvertrag unter Grün-Rot nicht umgesetzt werden konnte. „Ihre Regierungsfähigkeit haben wir deshalb nicht in Frage gestellt“, sagte er an die Adresse der SPD.
Auch erläuterte er noch einmal, um was es bei der Wahlrechtsreform geht: 70 Personen sollen wie bisher auch weiterhin direkt im Wahlkreis gewählt und von den Parteimitgliedern vor Ort aufgestellt werden. So bleibe die Verbindung zur Basis nach wie vor erhalten. „Uns geht es um die 50 Zweitmandate, die wir über ein anderes Zählverfahren abbilden wollen“, sagte Schwarz. Auch diese würden demokratisch von den Bürgern gewählt.
Auch CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart betonte, dass beide Fraktionen das Gelingen der Koalition wollten und zählte bisherige Erfolge auf. Er betonte zugleich, dass die CDU das bisherige Wahlrecht erhalten wolle, das sie für bürgernah und direkt halte. „Auch wir wollen mehr Frauen im Parlament“, sagte er. Doch das wolle man nicht über eine Wahlrechtsänderung erreichen. Vielmehr wolle man Frauen fördern und auch zu einer Kandidatur ermutigen. SPD und FDP warf er vor, keinen einzigen Vorschlag zum Thema der Wahlrechtsreform gemacht zu haben. „Kompromisse gehören zur Demokratie“, so Reinhart. „Doch es gehört auch dazu, dass man um Dinge streitet.“ Gestritten wird derzeit nicht nur mit dem Koalitionspartner über das Thema. Auch innerhalb der CDU und von anderen Organisationen erhält die Fraktion Gegenwind für ihre Entscheidung.
Bernd Gögel, Fraktionschef der AfD beglückwünschte die CDU-Fraktion zu ihrer Entscheidung gegen die Wahlrechtsänderung und hoffte, dass sie bei dieser Entscheidung standhaft bleiben werde. Auch die AfD sehe keinen Grund, das Wahlrecht zu ändern. Das bestehende Wahlrecht stärke auch die Basisdemokratie innerhalb der Parteien selbst. Die demokratische Wahl müsse eine Auslese nach dem Leistungsprinzip bleiben, so Gögel, der sich gegen jegliche Quotierung wehrte. Man wolle aber Frauen ermutigen, sich zu engagieren.