Stuttgart. Nach den Terrorakten von Nizza und Würzburg haben sich die AfD-Fraktion nebst ihren abgespalteten Abgeordneten und die übrigen Fraktionen des Landtags über die Integration von Muslimen gestritten. Viele Deutsch-Türken würden islamistisch denken, urteilte der AfD-Fraktionschef Heiner Merz am Mittwoch in der von seiner Fraktion beantragten aktuellen Debatte „Integration gescheitert? – Lehren für Baden-Württemberg aus Nizza und aus dem Türkei-Putschversuch?“.
Er wandte sich vehement gegen die „Austragung innertürkischer Konflikte“ in Deutschland. Integration sei eine „Bringschuld“ der Menschen, die nach Deutschland kommen und hier leben wollten, sagte Merz. Er räumte ein, dass die allermeisten Muslime in Deutschland „in Ruhe leben“ wollten; dennoch gebe es Parallelgesellschaften, die Gefahren bürgen. Beste Integration sei Arbeit – doch von der Regierung höre man nur „Kurse, Kurse“.
Landtagspräsidentin Muhterem Aras hatte die zehnte Sitzung des Parlaments mit dem Gedenken an die Opfer der Terroranschläge von Nizza und Würzburg sowie des versuchten Militärputsches in der Türkei eröffnet. „Uns einen die Trauer um die Opfer, das Mitgefühl mit deren Angehörigen, die Hoffnung für die vielen Verletzten, aber auch der Wille, unbeirrbar an unseren Grundwerten und Verfassungsgrundsätzen festzuhalten“, erklärte Aras. Die Abgeordneten gedachten mit einer Schweigeminute der Opfer. Die Präsidentin erinnerte die Abgeordneten daran, dass es zwingend sei, gemeinsam am Zusammenhalt der Gesellschaft zu arbeiten. Am besten auch durch „die Art, wie wir argumentieren und miteinander umgehen.“
Grüne, CDU, SPD und FDP hatten die Brisanz der Debatte schon dadurch zurück geschraubt, in dem sie keine Redner aus den Fraktionsvorständen ans Rednerpult schickten. Für die Grünen wies Daniel Lede-Abal den AfD-Vorwurf zurück, die Integration in Baden-Württemberg sei gescheitert. Ein Viertel der Baden-Württemberger habe ausländische Wurzeln: „Sie gehören hierher.“ Er erinnerte an die Integrationsprogramme. Die Regierung habe die Sicherheit im Blick. Das Land werde Pluralismus, Freiheit und Demokratie verteidigen.
Für die CDU warnte Bernhard Lasotta davor, Feindbilder zu kreieren und Dinge miteinander vermischen. Es dürfe zwar nichts verharmlost, aber auch kein Generalverdacht aufgebaut werden. Viele Muslime würden auch in Baden-Württemberg „staatstreu in unserem Land“ leben. Natürlich gebe es auch hierzulande Probleme mit der Integration. „Bei uns gelten Grundgesetz und Landesverfassung“, konstatierte Lassota, das werde eingefordert. Grün-Schwarz habe im Koalitionsvertrag die Stärkung von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz vereinbart. Auch das vom Bund beschlossene neue Integrationsgesetz werde umgesetzt. „Fördern und Fordern“ stehe dabei im Mittelpunkt. Man müsse die „positiven Ansätze“ der Integration nach vorne stellen und nicht populistisch argumentieren.
Rainer Hinderer (SPD) warf der AfD vor, aus den Terrorakten der vergangenen Tage politisch Kapital schlagen zu wollen. Die AfD konstruiere Zusammenhänge, die es nicht gebe. Die Partei rücke sich die Vorgänge so zurecht, wie es der AfD passe. Er forderte Lösungen, statt Angst und Schrecken zu verbreiten. Angesichts von 8336 nach Baden-Württemberg eingereisten minderjährigen und unbegleiteten Flüchtlingen sagte der SPD-Politiker: „Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Integration.“ Auch er forderte, die Sicherheitsorgane zu stärken. Hinderer betonte zugleich die Null-Toleranz-Strategie gegen den Terrorismus.
Ausgerechnet die AfD, die sich nicht selbst integrieren kann, spreche über Integration, kritisierte Jürgen Keck (FDP) in seiner ersten Landtags-Rede. Er bezeichnete es als „geschmacklos“, die Toten von Nizza zur Profilierung im Landtag zu nutzen. Die AfD konstruiere „populistische Zusammenhänge“. Denn die Integration der 2,5 Millionen Ausländer, die seit 1998 in den Südwesten gekommen seien, funktioniere „ungleich besser als in anderen Regionen“. Spracherwerb, Schule, Ausbildung und Beruf seien wichtige Punkte in der Integration, wobei auch die „schnelle Arbeitsgenehmigung“ notwendig sei. In den Schulen müsste Islamunterricht in deutscher Sprache erteilt werden. Man müsse sich davor hüten, den Terror einer bestimmten Religion anzulasten. Keck gab zu, die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ausgelöste „unkontrollierte Zuwanderung“ könne nicht bewältigt werden. Er forderte, Nicht-Bleibeberechtigte schneller abzuschieben.
Jörg Meuthen (AfD) als Sprecher der 14 fraktionslosen Abgeordneten sagte, Muslime täten sich mit der Integration „deutlich schwerer“ als andere Nationen. Dass sich viele Deutsch-Türken an der Armutsgrenze bewegen und Schlusslichter am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft seien, führt er auch auf die „fehlende Bereitschaft“ zurück, sich an die Gesellschaft hier anzupassen. Muslime neigten dazu, häufiger unter sich zu bleiben, viele seien in ihrem Milieu gefangen. Meuthen forderte ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild und die Zuwanderung nach Baden-Württemberg strikt zu reduzieren; denn nur „dosierte Zuwanderung“ könne eine Bereicherung sein.
Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha (Grüne) warf der AfD vor, die „Spalter der Gesellschaft“ zu sein: „Menschen wie Sie können die Gesellschaft nicht zusammenhalten.“ Da Baden-Württemberg über eine starke Ökonomie, Ökologie und Solidarität verfüge, „kommen die Menschen zu uns“. Diesen Dreiklang werde Grün-Schwarz stabil halten. Integration bedeute für ihn, Teilhabe-Chancen an Bildung, Arbeit und Wohlstand zu ermöglichen. Denn Ausgrenzung gefährde den Frieden. Auch Lucha räumte Probleme ein; die Regierung sei nicht naiv, sondern fordere die Einhaltung der Gesetze. Jedoch biete sie im Gegensatz zu den Rechtspopulisten „Lösungen an und nicht Angst.“
Für die fraktionslosen Abgeordneten forderte Heinrich Fiechtner, die Konflikte aus der Türkei nicht nach Deutschland zu importieren. Gleichzeitig sprach er sich dafür aus, alle Bundeswehr-Soldaten sofort aus der Türkei zurück zu holen. Nach Ansicht von Wolfgang Gedeon (fraktionslos) sind die islamistischen Parallelgesellschaften in Deutschland ein drohendes Potential.