Stuttgart. Die AfD-Fraktion hat eine Landtagsdebatte über das G9 in Baden-Württemberg zu einer Elementarkritik am Ganztagsunterricht genutzt. „Wir wollen keine Bevormundung der Familien oder der Kinder durch Ganztagsideologieerziehungsinstitute“, erklärte der bildungspolitische Sprecher Rainer Balzer am Mittwoch in Stuttgart.
Es gehe um „mindestens zwei grundsätzlich widerstreitende Zielvorstellungen, nämlich eine staatlich verwaltete Kindheit oder eine individuell und familiär gestaltete Kindheit und Jugend“. Nach ihren Vorstellungen soll die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium mehr Zeit schaffen, "den gelernten Stoff durch Üben und Anwenden zu vertiefen“.
Auch die CDU-Abgeordnete Sylvia Felder nutzte die Parlamentsdebatte für grundsätzliche Äußerungen. Nach den Einlassungen der AfD-Sprecher sei sie "eigentlich geneigt, für viele zusätzliche Unterrichtsstunden in den Fächern Politische Bildung und Geschichte zu stimmen“, so die Juristin aus Gernsbach. Auch die Äußerungen von AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland vom vergangenen Wochenende nahm sie aufs Korn: „Wer vom ‚Vogelschiss der Geschichte‘ redet, hat weder von Biologie noch von Geschichte eine Ahnung, aber hier würde sogar ein G15 noch nicht ausreichen.“
Inhaltlich bekannte sich die Mutter von „drei mittlerweile erwachsenen G8-Kindern“ zum in Baden-Württemberg eingeschlagenen Weg, in jedem Landkreis eine neunjährige Alternative anzubieten und im Übrigen am achtjährigen Gymnasium festzuhalten. Und sie erinnerte daran, dass die Verkürzung der gymnasialen Zeit ausdrücklich auf Wunsch der Eltern zu Stande kam: „Wenn wir Rufe aus schulischer Praxis und Elternschaft nicht ernst nehmen würden, hätten wir G8 nicht eingeführt.“ Durch die Kombination aus G9, Wehrpflicht und altem Studiensystem habe es „die ältesten Schulabgänger und Uniabsolventen der OECD-Staaten“ gegeben. Konfrontiert mit dieser Konkurrenz sei „der Ruf nach G8 auch aus der Elternschaft“ gekommen.
Kultusministerin Susanne Eisenmann hielt der AfD entgegen, dass es G9 „über Werkrealschule, Realschule und Gemeinschaftsschule an den beruflichen Gymnasien“ längst gebe. „So haben die Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg die unterschiedlichsten Optionen und Wege“, erklärte die Ministerin. Unter "gefühlte Wahrheiten“ stufte sie die Kritik ein, dass G8-Kinder schlechtere Leistungen brächten oder zu wenig Zeit fürs Engagement in Vereinen hätten. Genau das Gegenteil sei der Fall.
Für die SPD erinnerte Stefan Fulst-Blei an den "Dilettantismus, mit dem die G8-Reform unter CDU und FDP in Baden-Württemberg umgesetzt wurde“. Auf Druck der Eltern und der SPD seien in der vergangenen Legislaturperiode mehrere zentrale Maßnahmen ergriffen worden: eine deutliche Aufstockung der Poolstunden für die Gymnasien, um eine bessere Förderung an G8 Schulen zu ermöglichen und damit die Unterrichtsqualität zu steigern; G9-Modellversuche; die erfolgreiche Überarbeitung des Bildungsplans „mit der klaren Vorgabe, G8 erträglicher zu gestalten“; der deutliche Ausbau der Klassen an den beruflichen Gymnasien, "denn auch hier herrschte unter CDU und FDP Mangelverwaltung statt Gestaltung“.
Für die FDP warb Timm Kern bei Eisenmann dafür, den liberalen Vorschlag der Wahlfreiheit ernsthaft zu prüfen. Seine Partei stehe nach wie vor zu G8, eine allgemeine Rückkehr zum neunjährigen, allgemeinbildenden Gymnasium lehne sie ab. Dass die G9-Gymnasien im Rahmen des Schulversuchs zwölf Lehrerwochenstunden zusätzlich erhalten, bedeute "sehr wohl eine Privilegierung gegenüber den G8-Gymnasien“.
Eisenmann erteilte der Forderung nach Wahlfreiheit eine klare Absage: „Wir sollten uns bei der Qualität darauf konzentrieren, das, was wir haben, zu stärken und uns zur Verantwortung für Qualität und Leistungsfähigkeit und der Unterstützung unserer Lehrerinnen und Lehrer in allen Schularten klarer zu bekennen. Und nicht an jedem Standort jedes Fass aufzumachen, was uns gerade im Jahr 2018, 2019 oder 2020 einfällt.“