Landtag debattiert über Flüchtlingspolitik

23.09.2015 
Redaktion
 
Foto: Landtagspressestelle

Stuttgart. Außergewöhnliche Premiere im Stuttgarter Landtag: Das Landesparlament erlebte am Mittwoch die Aktuelle Debatte „Flüchtlinge in Deutschland und in Baden-Württemberg“, die von der Regierungsfraktion der SPD und der in der Opposition sitzenden CDU-Fraktion gemeinsam beantragt worden war. Die Verstimmung bei den Grünen darüber war auch noch vor Beginn des Plenartages spürbar, der mit 16 Minuten Verspätung von Landtagspräsident Wilfried Klenk (CDU) eröffnet wurde.

SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel gab dann auch zu Beginn der mehr als zweistündigen Debatte zu, mit seinem Schulterschluss mit CDU-Fraktionschef Guido Wolf „im Feuer der Grünen, aber auch in der Kritik der eigenen Partei“ zu stehen. Auch Wolf sah in der „ungewöhnlichen Aktion“ keinen „alltäglichen Vorgang“.  Ohne Schmiedel „noch mehr Probleme zu bereiten“, dankte er dem SPD-Fraktionschef für diesen außergewöhnlichen Schritt. Dies sei kein politischer Gag, kein Schauspiel, sondern der Ausdruck eines überparteilichen Signals“, beteuerte der Spitzenkandidat der CDU.

In der Debatte verschonte Schmiedel dann die CDU nicht. Wenn Wolf von Planlosigkeit, Ziellosigkeit, Mängeln und anderem spreche, werde damit den vielen ehrenamtlichen Helfern „vors Schienbein gestoßen“. Alle würden das Möglichste tun. Aber dies sei auf die Schnelle nicht in geordneten Strukturen möglich. Schmiedel ist sich sicher, dass Baden-Württemberg als wirtschaftlich starkes Land das „mit Zuversicht und Realismus“ schaffen wird. Es gehöre zu den Grundwerten, Menschen, die vor Verfolgung und Krieg flüchten, Schutz und Zuflucht gewähren. „Das Grundrecht auf Asyl ist für uns nicht verhandelbar. Ohne Wenn und Aber. Dieses Bekenntnis müssen wir auch von der ganzen CDU einfordern“, sagte Schmiedel. Die Flüchtlinge würden keinesfalls den Wohlstand gefährden. Begriffe wie „Schlaraffenland“ würden Vorurteile bedienen. Schmiedel erklärt, mit der SPD sei keine Deckelung des Asylrechts möglich. Dennoch seien Anstrengungen nötig, um die stetig steigenden Flüchtlingszahlen zu verringern.

Wolf krisitiert Kommunikation zwischen Landesregierung und Kommunen

Wolf kritisierte die Kommunikation zwischen der Landesregierung und den Kommunen. Von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) forderte er, ein „besserer, fairer Partner der Kommunen“ zu sein. Er werde auch künftig kritische Fragen stellen. „Man darf es sagen und muss es auch sagen dürfen, dass Asylbewerber auch den Wohlstand in Deutschland im Auge haben“, konstatierte Wolf. Menschen, die wegen politischer Verfolgung kommen, müssten schneller integriert werden. Andere, die kein Asylrecht hätten, müssten schnellstmöglich zurück in ihre Heimat. „Davon lasse ich mich nicht abbringen“, sagte Wolf. Von Kretschmann erwarte er, dass er der Rückkehr zum „richtigen und notwendigen“ Sachleistungsprinzip sowie der zeitnahen Aufnahme von Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten zustimme. Botschaft des Tages müsse sein, dass Fremdenhass und -feindlichkeit in Baden-Württemberg „nichts verloren“ habe, erklärte der CDU-Fraktionschef. Das müsse kompromisslos sein. Kritik an seiner Haltung wies Wolf zurück: „Ich argumentiere differenziert. Ich bleibe meiner Linie treu.“ 

Regierungschef Kretschmann forderte zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems „ein Fundament aus Humanität und Pragmatismus zu bauen, das dauerhaft tragbar ist“. Grün-Rot handele „koordiniert, geschlossen und mit Verantwortung“, stoße aber auf Grund der enorm hohen Flüchtlingszahlen „an Grenzen“. Das Land betreibe Krisenmanagement, „so gut wir es können“. Trotz der wachsenden Flüchtlingsströme habe es Baden-Württemberg geschafft, „dass niemand auf dem Bürgersteig übernachten muss“, kommentierte Kretschmann die „beachtliche Gemeinschaftsleistung von Land und Kommunen“.

Asylverfahren dauern zu lange

Mit den Rednern aller Fraktion war sich der Ministerpräsident darüber einig, dass die Asylverfahren mit durchschnittlich sechs Monate „viel zu lange dauern“. Der Grünen-Politiker ist davon überzeugt, dass auch die anderen Anreize, um nach Deutschland zu flüchten, „drastisch sinken“ werden, wenn die Verfahren in nur noch drei Monate erledigt sind. Zur Überbelegung in den Landeserstaufnahmestellen („das ist nicht gut und macht allen Stress“) kündigte er an, dass Ellwangen „spätestens morgen“ um 1000 Flüchtlinge entlastet werde.

Kretschmann geht davon aus, dass in diesem Jahr mindestens 100 000 Flüchtlinge nach Baden-Württemberg kommen werden. Die Menschen würden sich auch nicht durch Grenzzäune davon abhalten lassen. Der Ministerpräsident forderte eine Verantwortungsgemeinschaft aller staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte, auch in ganz Europa. Er dankte ausdrücklich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für „ihre klaren Wort und Haltung“ und dass sie „zäh“ an der Solidarität arbeite. Außerdem lobte er, wie die anderen Redner, die vielen ehrenamtlichen Helfer, „ohne die wir diese Krise überhaupt nicht bewältigen“ könnten. Zur Gesundheitskarte sagte Kretschmann, darüber sei schon im November 2014 verhandelt worden; durch deren Einsatz sei „keine medizinische Rundum-Versorgung“ möglich. Der Regierungschef beteuerte, er nehme die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ernst. Zudem sprach er sich für die Schaffung einer legalen Arbeitsperspektive für die Menschen vom Balkan aus.

Öney: Nur noch Flüchtlinge mit Bleibe-Perspektive in Kommunen schicken

Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) kündigte an, nur noch Flüchtlinge in die Kommunen zu schicken, die eine Bleibe-Perspektive haben. Derzeit würden täglich 1000 Flüchtlinge in den Südwesten kommen, im September bisher 18 000. Die bis 2016 geplanten 20 000 Plätze in den LEA seien jetzt schon übertroffen. Auch Öney forderte kürzere und effektivere Verfahren. Die Anträge von Flüchtlingen aus sicheren Herkunftsstaaten sollten innerhalb von zwei Wochen bearbeitet werden. Positiv sieht die Ministerin die beiden Flüchtlingsgipfel im Südwesten; dadurch sei das Land auf den Ansturm der Menschen aus Ungarn handlungsfähig gewesen.

Auch Edith Sitzmann (Grüne) sieht die lange Verfahrensdauer als „Nadelöhr“. Sie begrüßte die einstimmig verabschiedete gemeinsame Resolution aller vier Landtags-Fraktionen gegen Fremdenfeindlichkeit und für ein weltoffenes Baden-Württemberg. Erschüttert zeigte sich die Grüne über die Brandanschläge auf Einrichtungen im Südwesten. Deshalb müsse man die „positive Stimmung vor Ort wie einen Schatz hüten“, damit die Willkommenskultur weiter wachsen kann. Auch sie lobte „Merkels humanitäre Geste“ zur Aufnahme der Flüchtlinge an der ungarischen Grenze. Sitzmann forderte eine verlässliche Unterstützung durch den Bund, vor allem in Form von Sprach- und Wohnbauprogammen.

Das parteiübergreifende Signal gegen Gewalt sei notwendig, sagte Hans-Ulrich Rülke. Damit werde deutlich, dass der Rechtsstaat wehrhaft sei. Der FDP-Fraktionschef forderte 1000 zusätzliche Stellen bei der Polizei auf Grund dieser Entwicklung. Obwohl Deutschland alle, die politisch verfolgt sind, schützen wolle, könnten nicht alle, die hier ein besseres Leben suchen, aufnehmen. Er könne Merkel und die Bundesregierung nicht uneingeschränkt loben: Die Aktion in Ungarn sei ein klarer Bruch des Dublin-Abkommens gewesen, auch das  Schengen-Abkommen sei gebrochen worden. So werde Europa scheitern, mahnte Rülke.


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Titelbild Staatsanzeiger