Parlamentarier setzen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss ein

20.07.2016 
Von: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer
 
Redaktion
 

Stuttgart. Noch nie in der Geschichte Baden-Württembergs hat eine Landtagsfraktion auf den Vorsitz in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss verzichtet. Im zweiten Gremium, das sich mit den Verbindungen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ nach Baden-Württemberg und seinem möglichen Unterstützerumfeld befassen wird, hätten die Grünen den Vorsitz führen können. Sie überließen das Amt aber dem früheren SPD-Landesvizepräsidenten Wolfgang Drexler, der schon in der vergangenen Legislaturperiode den ersten Ausschuss geleitet hatte.   

Mit „Kompetenz und Kontinuität der Arbeit“, erklärte Jürgen Filius (Grünen) dieses Novum. Der Landtag sehe sich in der „Pflicht der Aufarbeitungen“. Zudem sei das damalige Klima Ende der Neunziger Jahre, als der NSU untertauchte, mit dem heutigen durchaus vergleichbar sei. „Der Rechtspopulismus greift um sich“, so der Rechtsanwalt aus Ulm, „selbst bei uns im Parlament.“ Es müsse verhindert werden, dass sich radikales Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft vorarbeite. Der erste Ausschuss habe auf Grund der knappen Zeit vieles beiseite lassen müssen.   

Zweiter NSU-Ausschuss bis Ende Oktober 2018

Bis Ende Oktober 2018 will sich der zweite NSU-Ausschuss Zeit nehmen, um das Unterstützerumfeld im Land auszuleuchten. 17 konkrete Komplexe sind im Einsetzungsantrag benannt, den die Regierungs- und Oppositionsfraktionen, unter Aussparung der AfD, gemeinsam formuliert haben. Wie Filius machten auch die Redner von CDU, SPD und FDP klar, dass die Ausschussarbeit nicht Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzung werden dürfe. „ Die blutige Spur der rechtsradikalen Mörderbande zog sich durch die ganze Republik“, sagte Boris Weirauch (SPD). Ziel des Ausschusses, der auf die „gute Arbeit“ in der vergangenen Legislaturperiode aufbauen werde, sei auch, „den Opfern ein ehrendes Andenken zu bewahren“. Der Mannheimer Rechtsanwalt verlangte, die Fluchtroute von der Heilbronner Theresienwiese nach der Ermordung von Michéle Kiesewetter noch einmal genauer in den Blick zu nehmen und die „strukturellen Verbindungen“ des NSU nach Baden-Württemberg zu durchleuchten. Außerdem wollen sich die vier Fraktionen auch noch einmal mit dem Komplex ausländische Geheimdienste in der Nähe der Theresienwiese befassen und der Frage, wie es im Einsetzungsantrag heißt, "ob und welche Rolle diese beim Tatgeschehen am 25. April 2007 gespielt haben und welche Erkenntnisse dazu bei den deutschen Sicherheits- und Ermittlungsbehörden vorgelegen haben".

Arnulf von Eyb (CDU) lobte, dass der Landtag zum zweiten Mal in Folge einen Untersuchungsausschuss im Konsens einsetzt. Eyb, der bereits dem ersten Ausschuss angehörte, erinnerte auch daran, dass für viele „spektakuläre Verschwörungstheorien“ keinerlei Anhaltspunkte gefunden werden konnten. Jetzt gehe es im zweiten Ausschuss „um die Kärrnerarbeit“. Rechtsextremistische Gewalt sei weiter ein wichtiges Thema im Land, das Bewusstsein dafür müsse auch in der Öffentlichkeit geschärft werden.

Herausfinden, ob Polizei und Verfassungsschutz Fehler gemacht haben

Für die FDP erklärte der neue Heilbronner Landtagsabgeordnete Nico Weinmann, die „unglücklichen Ermittlungsarbeiten“ der Behörden seien in seinem Wahlkreis sehr präsent. Wie schon im ersten Ausschuss sei Gründlichkeit wichtiger als Schnelligkeit. Viele Einzelheiten seien noch nicht geklärt. Auch deshalb sei eine zweite Untersuchung notwendig, etwa der Verbindungen der V-Männer „Corelli“ und „Primus“. Es gehe darum herauszufinden, ob Polizei und Verfassungsschutz Fehler gemacht hätten. Gerade das Vertrauen in letzteren müsse in der Bevölkerung wiederhergestellt werden.

Christina Baum, die von der ursprünglichen AfD-Fraktion in den Ausschuss geschickt wird, und Heinrich Fiechtner, der für die neue Gruppierung sprach, bezweifeln Ergebnisse des ersten NSU-Ausschusses. Beide verlangten, dass der Mord an Kiesewetter, aber auch der Fall Florian Heilig noch einmal aufgerollt wird. „Wir werden es uns nicht nehmen lassen, auch nachzufragen“, so Baum weiter, „welche Rolle die Politik gespielt hat“. Der Einfluss auf „gewissen Vorgänge“ müsse geprüft werden und, ob der Verfassungsschutz von „herrschenden Politikern nicht dazu missbraucht wird, politische Gegner zu denunzieren“.

Dem mit den Stimmen aller Fraktionen gewählten neuen und alten Ausschussvorsitzenden kündigte Baum eine gute Zusammenarbeit an. Drexler hatte der stellvertretende Landesvorsitzende der "Alternative für Deutschland"  zu Beginn der Legislaturperiode den Handschlag verweigert, unter anderem, weil sie im Wahlkampf die Einwanderungspolitik der Grünen einen „schleichenden Genozid an der deutschen Bevölkerung" nannte.


Ihre Ansprechpartner

Sie haben Fragen oder Anregungen?
Hier finden Sie Ihren Ansprechpartner.

Kontakt

Titelbild Staatsanzeiger