Ein Jahr Grün-Schwarz: Bilanz umstritten

10.05.2017 
Redaktion
 

Stuttgart. Die Opposition hat der seit dem 12. Mai 2016 amtierenden grün-schwarzen Landesregierung kein gutes Zwischenzeugnis ausgestellt. „Herr Ministerpräsident, wir hätten die höfliche Frage, ob diese Regierung in den kommenden vier Jahren zu regieren beginnt, oder ob Sie vorhaben, bis 2021 im Zustand des Wachkomas zu verharren", fragte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke zum Abschluss seiner Rede am Mittwoch im Landtag.

Die aktuelle Debatte hatte die FDP beantragt und ihr den Namen „Ein Jahr Grün-Schwarz, ein Jahr Stillstand in Baden-Württemberg“ gegeben. Die erste nennenswerte Aktion dieser Koalition seien die „geheimen Nebenabreden“ gewesen. „Von Minister Strobl stammt der Satz, wonach sich diese Koalition nicht gesucht, aber gefunden habe. Die geheimen Nebenabreden hat die Öffentlichkeit auch nicht gesucht - aber gefunden“, konstatierte Rülke süffisant.

Auch AfD und SPD kritisierten die Arbeit von Grün-Schwarz. Jörg Meuthen, der Fraktionsvorsitzende der AfD, sprach von „Rückschritt statt Stillstand“ und reklamierte Versäumnisse und Nachholbedarf in vielen Bereichen. Nach Ansicht von SPD-Fraktionschef Andreas Stoch hat die Regierung „keine Idee“, wie sie das Land in die Zukunft führen wolle.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) konterte mit Fakten: Die Zahl der Beschäftigten sei so hoch wie noch nie in der Geschichte Baden-Württembergs, es gebe so wenig Arbeitslose wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr. Nirgendwo hätten so wenige junge Leute keinen Job „wie bei uns“.  Die Wirtschaft brumme, das Land sei Exportweltmeister, in kaum einem anderen Bundesland sei das Pro-Kopf-Einkommen so hoch wie im Südwesten, und Baden-Württemberg sei das sicherste Land mit der niedrigsten Kriminalitätsbelastung der Republik. „All das zeigt: Baden-Württemberg ist ein starkes und dynamisches Land. Von Stillstand keine Spur“, resümierte der Regierungschef.

All dies seien keine Selbstläufe, zumal „in unruhigen Zeiten mit vielen Risiken“. Als Herausforderung für die Zukunft sieht Kretschmann die Digitalisierung, „die alle unsere Lebens- und Wirtschaftsbereiche umpflügt“, die großen Transformationsprozesse in der Automobilindustrie, den Klimawandel und das dramatische Artensterben, die Probleme mit Flucht, Migration und Integration. „Wir haben einen klaren Kompass. Der Kompass heißt Zusammenhalt, Innovation und Nachhaltigkeit.“ Grün-Schwarz könne einen guten Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft leisten, weil diese Koalition aus unterschiedlichen politischen Richtungen der Gesellschaft komme.

Für Kretschmann steht die innere Sicherheit, was ihre Bedeutung für die Landespolitik angeht, ganz oben. Weitere wichtige Themen seien die Wohnraum-Allianz, die „bestmögliche Bildung im Land“, die Integration von Flüchtlingen und der Ländliche Raum. Er sei „wirklich stolz darauf, dass wir es geschafft haben, aus den ideologischen Gräben herauszukommen“, sagte der Regierungschef. Der Automobilindustrie stehe ein „tiefer Umbruch“ bevor. Die Entwicklung der E-Mobilität und neuer Antriebstechniken sei aber notwendig - allein schon aus Klimaschutzgründen. Baden-Württemberg müsse der Automobilstandort mit 260 000 Arbeitsplätzen bleiben. Deshalb sei die Landesregierung auch in den strategischen Dialog mit der Autoindustrie getreten. Aufgabe von Regierungshandeln sei auch der Kampf gegen die Schadstoffwerte in Großstädten: „Da geht es einerseits um die Gesundheit der Bevölkerung, andererseits aber auch um die Mobilitätsbedürfnisse.“ Da die EU-Richtlinie im Land sei elf Jahren verletzt würde, gebe es jetzt den neuen Luftreinhaltplan, der als Ultima Ratio auch Fahrverbote für Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß vorsieht. „Wir wollen ja keine Fahrverbote. Wir wollen vielmehr saubere Luft.“

„Nicht gesucht, aber nun wirklich gut gefunden“

Kretschmann verteidigte außerdem den eingeschlagenen Weg in Sachen Verschuldung. Nur wenn der Sanierungsstau auf allen Ebenen bis 2020 zügig abgebaut werde, sei man in der Lage, die Schuldenbremse ab 2020 einzuhalten. Deshalb sei jetzt der richtige Zeitpunkt, keine Schulden zu tilgen, sondern die implizite Verschuldung abzubauen. Nach Ansicht des Ministerpräsidenten sei beiden Koalitionspartnern wichtig, was für das Land und seine Menschen wichtig sei. „Erst dann berücksichtigen sie den eigenen Laden – nicht umgekehrt.“ Nur dann könne man ideologische Gräben überbrücken und im Regierungshandeln zeigen, dass man auch als Koalition, „die sich nicht gesucht, aber nun wirklich gut gefunden hat, gut zusammenarbeiten und Wichtiges, Entscheidendes für dieses Land zu tun“.

Auf die Erfolge von Grün-Schwarz wiesen auch die beiden Fraktionschefs der Regierungsfraktionen hin. Andreas Schwarz (Grüne) zählte zahlreiche „Erfolgsprojekte“ auf. Das Land betreibe „topseriöse Finanzpolitik“, ohne neue Schulden und Steuererhöhungen. Wichtige Ziele seien ein Leben in Sicherheit und Freiheit sowie gute Bildung. Das Land wolle auch Vorreiter bei der Digitalisierung sein. „Das Wohl der Menschen steht im Vordergrund“.

Wolfgang Reinhart (CDU) ging vor allem auf die Leistungen der CDU-Minister ein und würdigte vor allem Erfolge im Wirtschafts-, Kultus-, Innen-, Justiz- und Agrarministerium. „Wir haben in einem Jahr viel erreicht. Wer hier Stillstand sehen will, lebt offenbar in einem ganz anderen Land“, sagte er und kritisierte damit Rülke. Bei den Fahrverboten räumt der CDU-Fraktionschef „Diskussionsbedarf“ ein.

Meuthen spricht von „Selbstbedienung auf Staatskosten“

Meuthen kritisierte die Regierung auch für die geplante Rückkehr zur staatlichen Versorgung von Abgeordneten, die er als „Selbstbedienung auf Staatskosten“ geißelte und Ausdruck von unehrlicher und intransparenten Politik gegen die Bevölkerung sei. Erfreulich sei, dass das Gesetz nach elf Tagen wieder kassiert worden sei.

Stoch ging mit seinem ehemaligen Koalitionspartner hart zu Gericht. Die Grünen hätten einen „relativ kleinen, eigenen Beitrag geleistet zum Baden-Württemberg, wie es heute ist“. Die Gefahr, sich auf den Lorbeeren auszuruhen („und nicht mal auf den eigenen“) sei groß. Kretschmann habe nicht gesagt, wie das Land auf die die Herausforderungen reagieren wolle. Baden-Württemberg als stark und dynamisch zu bezeichnen, sei nicht neu; dies habe schon Ex-Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) gesagt.

Wie wichtig der CDU die gleiche Augenhöhe mit den Grünen in der Koalition ist, zeigte sich auch daran, dass Innenminister Thomas Strobl (CDU) auch noch das Wort ergriff. „Wir ringen um den richtigen Weg“, sagte er zum Arbeitsalltag in der Regierung. „Wir machen gute Kompromisse und keine faulen“, betonte er.


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