FDP kritisiert "Koalition der scheinheiligen Datensammler"

21.06.2017 
Redaktion
 

Stuttgart. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hat der grün-schwarzen Landesregierung am Mittwoch Doppelmoral beim Datenschutz vorgeworfen. Es herrsche Scheinheiligkeit, soweit man blicke, sagte Rülke im Landtag in der Debatte über die Frage „Ist Datenschutz Verbrecherschutz?“, die seine Fraktion beantragt hatte. Rülke verwies einerseits auf die Forderung von Innenminister Thomas Strobl (CDU), Daten der Lastwagenmaut zur Bekämpfung schwerer Verbrechen zu nutzen. Dies hatte bei den Grünen für einen Aufschrei gesorgt; damit werde der Datenschutz verletzt, ja Strobl verfolge „ausufernde Kontrollphantasien“, die das Schreckens-Szenario eines George Orwell noch überträfen. Andererseits habe Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) prüfen lassen, ob Autokennzeichen für die Kontrolle der Einhaltung der in Stuttgart geplanten Fahrverbote genutzt werden könnten.

Rülke warf dem Innenminister vor, selbst mehrfach im Bundestag zugestimmt zu haben, als die Verwertung von Mautdaten für andere Zwecke als die Abrechnung der Mautgebühr ausdrücklich ausgeschlossen wurde. „Diese Koalition ist keine Komplementärkoalition und auch keine Kiwi-Koalition, sondern eine Koalition der scheinheiligen Datensammler“, schloss Rülke seine Rede.  

Stoch kritisiert unvereinbare Staatsauffassungen von CDU und Grünen

Innenexperte Hans-Ulrich Sckerl (Grüne) nahm das Vorgehen seines Parteifreunds Winfried Hermann in Schutz. Es habe sich lediglich um eine – schon von der Verfassung gebotene - Prüfung gehandelt, ob eine automatische Kennzeichenerfassung ein Mittel im Kampf gegen Feinstaub sein könne; konkret um die Einhaltung von Fahrverboten für bestimmte Dieselautos zu kontrollieren. „Es war aber nicht beabsichtigt, das ernsthaft zu machen.“ Datenschutz sei für seine Partei „unteilbar“ und „seit Gründung immer schon ein wesentliches Thema der Grünen“ gewesen.

Die FDP in Nordrhein-Westfalen dagegen habe im Koalitionsvertrag gerade Maßnahmen festgeschrieben wie etwa „sehr niederschwellige“ Hürden für das Anlegen elektronischer Fußfesseln oder die vorbeugende Inhaftierung von sogenannten terroristischen Gefährdern, die deren Anspruch als Freiheits- und Bürgerrechtspartei konterkarieren würden. 

Die CDU-Verkehrsexpertin Nicole Razavi verteidigte die Forderung von Strobl nach stärkerer Nutzung von Mautdaten. Die gegenwärtige terroristische Bedrohung mache dies erforderlich. Es gelte „eine neue kluge und zeitgenössische Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden“, so Razavi. Datenschutz sei ein Verfassungsgebot, der Schutz des Lebens der Bürger aber ebenfalls. Und bei der konkreten Abwägung in den diskutierten Fällen rangiere dieser höher. „Das Recht muss sich im Einklang mit der technischen Entwicklung auch entwickeln“. Dem trage die grün-schwarze Koalition mit dem Anti-Terror-Paket Rechnung.

Heiner Merz (AfD) wies darauf hin, dass seine Partei schon vergangenes Jahr gefordert habe, Mautdaten für die Aufklärung von Verbrechen zu nutzen.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch sagte, das Land brauche keine Regierung, die sich öffentlich beschimpfe, wie dies in Sachen Datenschutz und Nutzung von Mautdaten in den vergangenen Wochen der Fall gewesen sei. In der grün-schwarzen Koalition prallen laut Stoch zwei unterschiedliche Auffassungen vom Staat aufeinander, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen: Diejenige der CDU, die einen starken Staat wolle und ein Mehr an Gesetzen mit mehr Sicherheit gleichsetze. Und die der Grünen, die Staatsskepsis und –ferne in ihrer politischen DNA trügen.

Stoch kritisierte Strobls Äußerung in der vergangenen Woche, Datenschutz dürfe kein Täterschutz sein, als „populistisch“. Im Übrigen gelte: „Es geht nicht um ein Mehr an Gesetzen, sondern das Umsetzen von Gesetzen.“ Daran werde die SPD die Landesregierung messen.

Strobl: Ausschluss der Nutzung von Mautdaten für Verbrechensbekämpfung war falsch

Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte, Sicherheit sei kein Zustand, der einmal erreicht und dann gesichert ist. „Das muss jeden Tag neu erarbeitet werden“. Drei Maßnahmen seien dafür nötig. Zum einen die Polizei personell aufzustocken und besser auszurüsten. Das eine sei auf dem Weg, das andere bereits Wirklichkeit. „Nirgendwo in Deutschland ist die Polizei besser ausgerüstet“, sagte Strobl. Drittens aber müsse man die technischen und rechtlichen Instrumente für mehr Sicherheit an die gewandelte Lage der Welt anpassen; so etwa den Terrorismus mit gut organisierten und international vernetzten Gruppen.

Dazu gehörten auch eine veränderte Telekommunikationsüberwachung, auf die sich die grün-schwarze Koaliton am Dienstag habe einigen können. Strobl erwähnte namentlich die Möglichkeit, künftig auch verschlüsselte Telefonate überwachen können. 

Und zu Rülkes Vorwurf der Doppelmoral wegen seines früheren Abstimmungsverhaltens in Sachen Mautdaten meinte Strobl, schon bei der Verabschiedung seien er und die Innenpolitiker anderer Parteien im Bundestag nicht glücklich gewesen mit dem Gesetz, das eine andere Nutzung der Mautdaten als für die Gebührenabrechnung ausschloss. Die damalige Haltung „war vermutlich ein Fehler“, so Strobl. „Wenn es einer war, sollten wir das ändern.“

Und zu Rülkes Vorwurf der Doppelmoral wegen seines früheren Abstimmungsverhaltens in Sachen Mautdaten meinte Strobl, schon damals seien er und die Innenpolitiker anderer Parteien im Bundestag nicht glücklich gewesen mit der 2002 Regelung zur Mautdatennutzung, die eine andere Nutzung als für die Gebührenabrechnung ausschloss. Die damalige Haltung „war vermutlich ein Fehler“, so Strobl. „Wenn es einer war, sollten wir das ändern.“

Er erneuerte seine Forderung, das Gesetz so abzuändern, dass Mautdaten künftig zur Aufklärung schwerer Verbrechen verwendet werden dürfen. Das sei aus seiner Sicht eine notwendige Konsequenz aus dem Mordfall von Endingen, für den die – in Österreich schon erlaubte - Auswertung der Mautdaten zentral gewesen sei. Er sei zuversichtlich, dass der neue Bundestag dies beschließen werde. Dann vielleicht auch mit den Stimmen der FDP, die in Nordrhein-Westfalen ja schon ein Stück weiter sei als im Stammland Baden-Württemberg und gerade erst viele Maßnahmen in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag aufgenommen habe, gegen die Rülke sich hier ausspreche.

Rülke entgegnete, es gebe zum Datenschutz mitunter verschiedene Meinungen in seiner Fraktion. Diese werde im Übrigen die meisten Maßnahmen des von Grün-Schwarz nun beschlossenen  Anti-Terror-Pakets mittragen. Was aber die von Strobl auch geforderte Online-Durchsuchungen angehe, gilt laut Rülke: „Diesen Blödsinn machen wir nicht mit, weder in Baden-Württemberg noch in Nordrhein-Westfalen noch im Deutschen Bundestag“.


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