SPD und FDP werfen Kretschmann Probleme mit Gewaltenteilung vor

30.06.2021 
Redaktion
 

STUTTGART. In einer lebhaften Landtagsdebatte zu Corona hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Missverständnisse im Zusammenhang mit seinem Interview zur Bekämpfung künftiger Pandemien erneut bedauert und eingeräumt, sich „an einer Stelle unglücklich ausgedrückt“ zu haben. Zugleich nutzte er die Gelegenheit, gegen ihn erhobene Vorwürfe als „offensichtlich absurd“ und überzogen zurückzuweisen: „Ich bin kein Sensibelchen und komme mit solchen Angriffen schon klar, aber eine solche Hysterisierung schadet, weil sie einer ernsthaften Diskussion in der Sache im Weg steht.“

Aus einer missverständlichen Formulierung abzuleiten, „dass der Kretschmann plötzlich ein 'Verfassungsfeind' sei, ein 'Autokrat' oder ein 'entrückter Sonnenkönig, der den Rechtsstaat untergraben möchte' - das ist dann doch völlig drüber", machte der Regierungschef seinem Unmut über die Kritik von SPD und FDP Luft. 

Rülke spricht von "Anschlag auf den Rechtstaat"

Sozialdemokrat Andreas Stoch, der die Aktuelle Debatte für seine Fraktion beantragt hatte, formulierte eine „Sorge“: Dass "hinter den verstörenden Aussagen des Ministerpräsidenten ein massives, grundlegendes Unverständnis für unseren Staat und seine Institutionen, für die Rollenverteilung zwischen Regierung und Parlament, zwischen Politik und Justiz steht“. Sein FDP-Kollege Hans-Ulrich Rülke sprach von einem „bemerkenswerten Mangel an der Kenntnis unserer Verfassung“ und von einem „Anschlag auf den Rechtstaat“, der "in eine unseligen Tradition" stehe. „Zumindest von den demokratischen Parteien erwarte ich, dass sie konstruktiv agieren“, hielt Kretschmann seinen Kritikern entgegen, „wir befinden uns im Wahlkampf, das hatte ich vielleicht zu wenig auf dem Film." Da sei die Versuchung groß, „mit einem vermeintlichen Skandal der politischen Konkurrenz zu schaden“. Nur in der Sache bringe das niemanden weiter.

Für Kretschmann ist die zentrale Frage, ob „frühe und entschlossene Maßnahmen zu Beginn einer Pandemie, selbst wenn sie auf den ersten Blick unverhältnismäßig erscheinen mögen, auf der Strecke der Pandemie verhältnismäßiger sein können, da sie langdauernde Einschränkungen von Freiheiten und Grundrechten verhindern und die gesamtgesellschaftlichen Schäden minimieren". Deshalb habe er angeregt, dass der Bundestag eine Enquête-Kommission einrichtet, und auch deshalb habe die neue Landesregierung die Einrichtung einer solchen im hiesigen Landesparlament vorgeschlagen. 

Kretschmann kritisiert Rülke wegen falschen Zitierens

Besonders hart ging Kretschmann mit Rülke ins Gericht, wegen unvollständigen Zitierens, "damit ein falscher Eindruck entsteht". CDU-Fraktionschef Manuel Hagel, der den Ministerpräsidenten auffallend vehement verteidigte, warf dem Liberalen sogar vor, immer wieder zu Unwahrheiten zu greifen, "die aber auch nicht wahrer werden, wenn man sie wiederholt“. Andreas Schwarz (Grüne) erinnerte daran, wie Innenminister Thomas Strobl (CDU) in vergangenen Herbst selber einen kurzen und harten Lockdown in Gespräche gebracht hat. Es gebe eben um schwerwiegende Fragen, vor allem darum wie Trauer und Leid reduziert werden könne.

Im Detail befasste sich Kretschmann mit Stochs Forderung, Politik müsse im Einklang mit Gerichten agieren. „Wir dürfen doch glücklich und froh sein“, so der Grüne, „dass es Verwaltungsgerichte gibt.“ Dass die „auch mal anders entscheiden" als die Politik, sei eine Selbstverständlichkeit. Mit Blick auf eine mögliche nächste Pandemie sei es legitim und notwendig, über die Weiterentwicklung des Rechts nachzudenken. „Was soll denn daran falsch sein, dass sich Gremien wie eine Enquetekommission des Bundestags dazu Gedanken macht?“ so Kretschmann weiter, der drei Mal in die insgesamt dreistündige Debatte eingriff. 

FDP stimmt Enquettekommission grundsätzlich zu

In einer selbst für AfD-Verhältnisse ungewöhnlich scharfen und grundsätzlichen Weise ging deren Fraktionsvorsitzender Bernd Gögel die Grünen an, indem er Parallelen zwischen ihnen und den radikalsten Kräften der Französischen Revolution von 1789 zog. Sie seien „die Jakobiner unserer Zeit“ und wollten "Andersdenkende wirtschaftlich und sozial vernichten“. Zwischenfragen der Rechtsaußen-Opposition lehnte Kretschmann mit dem Hinweis ab, dass eine vernünftige Diskussion mit ihr nicht möglich sei, solange sie sich nicht entscheide, ob sie Corona für gefährlich oder lediglich für eine Grippe halte.

Von den Vorsitzenden der andere Fraktionen wollte er selber wissen, ob sie eine Weiterentwicklung des Rechts zur Pandemiebekämpfung für notwendigen hielten oder nicht. Rülke meldete sich darauf ein drittes Mal zu Wort und stimmte einer Enquetekommission grundsätzlich zu. Allerdings vermische Kretschmann einfache Gesetze mit den ersten Artikel des Grundgesetzes mit Ewigkeitsgarantie: „Finger weg von den Grundprinzipien unserer Verfassung.“


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