STUTTGART. Das neue baden-württembergische Polizeigesetz ist im Landtag mit den Stimmen von Grünen und CDU verabschiedet worden. Für die Grünen erklärte Fraktionsvize Hans-Ulrich Sckerl, seine Fraktion gehe davon aus, dass die Landesregierung einen verfassungskonformen Gesetzentwurf vorgelegt hat: „Wir verlassen uns darauf, das ist eine Selbstverständlichkeit.“
Die Redner von SPD und FDP verwiesen dagegen auf die Sachverständigenanhörung im Landtag, bei der alle Experten erhebliche Bedenken formuliert hatten. Der Opposition gehe es „ein bisschen auch um politisches Kalkül“, erklärte dagegen Innenminister Thomas Strobl (CDU).
Für die Union nannte ihr Innenexperte Thomas Blenke jene fünf Sachverständigen namentlich, die den Neuregelungen zum Einsatz von Bodycams in Privaträumen und die erweiterten anlasslosen Kontrollmöglichkeiten bei Großveranstaltungen unterstützt hätten: „Alle Praktiker stützten den Gesetzentwurf.“ Gerade die Kontrollmöglichkeiten seien „ein Big Point“. Sie gäben Praktikern die Möglichkeit, „mit geschultem Blick“ auf Weihnachtsmärkten sich verdächtigen Personen zu nähern und Straftäter aus ihrer Anonymität zu holen, etwa wenn jemand „eine Bombe im Rucksack und möglicherweise im Sinne hat, viele sorglose Menschen zu töten“. Die Koalitionsfraktionen seien bereit gewesen, „mutig abzuwägen und zu entscheiden“.
Blenke und Strobl mussten sich von Sozialdemokraten und Liberalen allerdings vorwerfen lassen, sie übergingen jene Experten, die die Verfassungskonformität bestritten hätten. Er mache einen einfachen Vorschlag, so SPD-Fraktionsvize Sascha Binder: Im Bundestag könne fraktionsübergreifend das Grundgesetz im Artikel 13 geändert werden. Auch seine Fraktion stehe hinter der Polizei. Die brauche aber keine Regelungen, die auf verfassungswidriger Rechtsgrundlage beruhten: „Das ist der Polizei nicht zuzumuten.“
In der Sachverständigenanhörung war der Einsatz der Bodycams in Wohnungen von fünf Experten problematisiert worden. Unter anderen hatte Andreas Nachbaur, der an der Hochschule der Polizei Baden-Württemberg Rechtswissenschaften lehrt, die Gründe genannt, warum aus seiner Sicht verschiedene Vorgaben von den Gerichten wegen mangelnder Rechtssicherheit gekippt würden. Mark Zöller, Professor der Uni Trier, der mehrere entsprechende Gesetzgebungsverfahren bundesweit begleitet hat, beklagte ebenfalls große „verfassungsrechtliche Risiken“ und Kompetenzüberschreitungen. Das Innenministerium wolle Dinge regeln, für die der Bund zuständig sei.
Alle Debatten vom 30. September 2020
In der Zweiten Lesung widersprachen Blenke und Strobl vehement. „Der Blick in den Rucksack oder das Vorzeigen des Personalausweises stellt einen verhältnismäßigen Eingriff dar“, so der CDU-Abgeordnete, der dem Koalitionspartner für die Zusammenarbeit dankte. „Es gibt Fraktionen, die tragen Bedenken, wir tragen Verantwortung.“ Sckerl betonte aber auch, was alles seine Fraktion in den Verhandlungen im Vorfeld alles verhindert habe, darunter Online-Durchsuchungen, die Ausweitung der Schleierfahndung oder die letztendlich unbegrenzte Präventivhaft. Strobl lobte das gemeinsam beschlossene. Rund ein Drittel der durch Gewalt verletzten Polizisten würden in geschlossenen Räumen verletzt: „Deshalb muss die Bodycam bei Gefahr für Leib und Leben auch in Innenräumen erlaubt sein - das war und ist meine feste Überzeugung, das ist die glasklare Meinung der polizeilichen Praxis.“ Dazu hätten die Kameras hätte eine deeskalierende Wirkung.
Nico Weinmann, der FDP-Fraktionsvize, ging auch noch einmal auf die Anhörung ein: Spätestens seit gut zwei Wochen „ist klar, dass die Gesetzesverschärfungen, auf die der Innenminister besonders stolz ist, verfassungswidrig sind“. Das hätten sämtliche externen Sachverständige bestätigt“ und die Grünen „alle Trümpfe“ aus der Hand gegeben, die Verschärfungen zu verhindern.
FDP und SPD scheiterten mit Änderungsanträgen, den Einsatz der Bodycam in Wohnungen verhindern, „weil dies gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung verstößt und gegen eine „nahezu anlasslose Befugnis für Kontroll- und Durchsuchungsrechte der Polizei bei größeren Veranstaltungen“. Dabei wäre damit, so Weinmann, den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gefolgt werden, „das festgestellt hat, dass die Durchführung von Kontrollen zu beliebiger Zeit und an beliebigem Ort ins Blaue hinein mit dem Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich unvereinbar ist“.