STUTTGART. Das Thema Ganztagesbetreuung sorgt seit Jahren für Streit im Land. Jüngstes Beispiel ist die von der SPD-Fraktion beantragte Debatte im Landtag „Ministerin Eisenmann: Geisterfahrt statt gutem Ganztag?“. Hintergrund ist das Angebot des Bundes an die Länder in Höhe von 750 Millionen Euro für die Ganztagesbetreuung. Dass 15 Bundesländer die Vereinbarung unterzeichnen wollen, aber Baden-Württemberg nicht, halten die Sozialdemokraten für verantwortungslos.
„Wenn Einrichtungen vor Ort dringend Hilfe brauchen, denkt Frau Eisenmann daran, wie sie ihre Klientel zufriedenstellen kann“, warf Daniel Born, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion der Ministerin vor. Immerhin gehe es um fast 100 Millionen Euro für das Land. Eisenmann behaupte, die Maßnahmen seien dazu da, dass der Bund den Zwang zum Ganztag fördern wolle. Born warf der Ministerin vor, dass sie Familien und Trägern die Unwahrheit ins Gesicht sage. Der Bund lege sich in der Vereinbarung nicht einseitig fest, so Born.
Gegen die Vorwürfe verwahrte sich die Kultusministerin entschieden. Nicht 70 Prozent der Grundschulen hätten sich für ein verbindliches Ganztagsangebot entschieden, wie 2014 mit der gesetzlichen Verankerung von der grün-roten Landesregierung angestrebt worden sei, sondern nur 20 Prozent. Von den dafür bereit gestellten 450 Millionen Euro seien bis heute 200 Millionen noch nicht abgerufen. Viel stärker werde die flexible Betreuung in kommunaler Trägerschaft gefragt, erläuterte Eisenmann. Sie wies darauf hin, dass es nur in Baden-Württemberg diese spezielle Struktur der Betreuungsangebote gebe, weshalb nur das Land auf eine Änderung der Vereinbarung mit dem Bund bestehe.
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Sie verwies darauf, dass das Ergebnis von zwei vom Kultusministerium 2016 und 2017 veranstalteten Ganztagesgipfeln mit rund 700 Teilnehmern der Wunsch nach Wahlfreiheit unter den Angeboten gewesen sei. Den Vorwurf aus Berlin, dass die kommunalen Angebote Qualitätsstandards nicht genügen würden, sondern nur Verwahrung seien, bezeichnete Eisenmann als unverschämt. Sie zeigte sich überzeugt, dass mit dem Nachweis von Qualitätsstandards für die kommunalen Angebote ein Kompromiss mit dem Bund gefunden werden kann. An die SPD gerichtet sagte sie: „Die Politik richtet sich nach den Wünschen der Bürgerinnen und Bürger und nicht nach den ideologischen Vorstellungen der Parteien“.
Im Vorfeld der Debatte hatte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) scharfe Kritik an der Haltung des Landes geübt und sprach sich für die Förderung „echter Ganztagesschulen“ aus. Sandra Boser von den Grünen machte deutlich, dass für ihre Partei „qualitativ hochwertige Ganztagsangebote ein wichtiges Anliegen sind, weil sie nicht nur zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern auch zur Bildungsgerechtigkeit beitragen“.
Sie hält es für notwendig, dass Bund und Land zu einer gemeinsamen Lösung finden, „wie gewachsene Strukturen in Baden-Württemberg in das Konstrukt des Bundes eingebunden werden können“. Boser räumte ein, dass kommunale Angebote stärker nachgefragt werden. Die Situation im Land dürfe nicht dazu führen, dass wir nicht von Mitteln des Bundes profitieren. Wenn der Bund Qualitätskriterien für kommunale Angebote fordere, gelte es jetzt eine Lösung zu finden, so Boser.
Karl-Wilhelm Röhm von der CDU betonte, dass die gesetzliche Ganztagsschule nur eine geringe Akzeptanz habe. Er verwies darauf, dass es im Raum Freiburg zum Beispiel nur drei gebundene Angebote gebe. Röhm betonte, dass die CDU für Wahlfreiheit eintrete. Die gesetzliche rhythmisierte Ganztagsschule und flexible kommunale Angebote sollten sich deshalb ergänzen.
„Die CDU fordert eine gleichberechtigte Bezuschussung von Ganztages- und Betreuungsangeboten, egal ob sie unter Aufsicht der Schule oder des Schulträgers stehen“, so Röhm. Er betonte, dass „die gewachsene bewährte Betreuungslandschaft in Schulen maßgeblich von kommunalen Angeboten getragen wird“. Dafür sollten nach Ansicht Röhms Qualitätsstandards entwickelt werden.
Der FDP-Abgeordnete Timm Kern forderte, in der Bildungspolitik endlich auf die Überholspur zu wechseln. Er warf der Landesregierung „grün-schwarze Komplementärblockade“ vor. Ministerin Eisenmann könne sich weder im Bund noch gegenüber dem Koalitionspartner durchsetzen. Kern forderte das von der FDP favorisierte Konzept der offenen Ganztagesschule mit flexiblen Angeboten neben der gebundenen ins Gesetz mit aufzunehmen. „Guter Ganztag bedeutet Wahlfreiheit zwischen der offenen und rhythmisierten Form“, so Kern. Eisenmann hält dagegen flexible Angebote in Verantwortung der Kommunen für die bessere Variante.
Die AfD ist skeptisch gegenüber allen Ganztages- und Betreuungsangeboten. Rainer Balzer sprach sich für Wahlfreiheit aus. Verpflichtende Ganztagesbetreuung lehnt die Partei jedoch grundsätzlich ab. „Wir fordern den Nachmittag zur freien Entfaltung des freien Geistes ohne staatliche Einmischung“. Der SPD warf Balzer vor, dass sie die jungen Leute bevormunden wolle.